Dienstag, 15. Dezember 2015

Zurückgeworfen

Sonntagabend, der 13. Dezember. Christbaumversteigerung der Goldacher Feuerwehr. Am zweiten Sonntag im Dezember, wie jedes Jahr.
Es ist teilweise lustig, ich kann weiter ein bißchen netzwerken.
Ich ersteigere wieder zwei Schweinshaxen und ernte bei der ersten schon belustigt-begierige Blicke des Tisches hinter mir - wie sich herausstellt sitzt dort mein Grundstücksnachbar. Zwei Minuten später sitze ich nicht mehr allein, sondern an der Stirnseite des vollbesetzten Tisches und wir schneiden die Haxe gemeinsam an, er ißt die Kruste, ich ein bißchen Fleisch.
Weiterhin finden wieder zwei Alkoholika und eine Packung Kekse zu mir. Der Sechszehnjährige, der mir die Sachen bringt, hat selbst schon einiges an Alkoholerfahrung gesammelt und meint zu dem ersteigerten Bourbon "aha, den magst Du also" (nein, eigentlich nicht, aber ich will ja wissen, ob und was man damit in der Küche machen kann). Zwei Taschen sind auch noch dabei, die ich demnächst zur Flüchtlingshilfe bringen werde.
Der Nachbar wird dann auch redselig und bietet mir seine Hilfe bei Alltagsdingen an und Fahrdienst in Notsituationen.
Später, nach dem offiziellen Teil, lasse ich mich dann mal wieder breitschlagen, Bier zu trinken. "Komm, Du nimmst eine Halbe", sagt einer der Feuerwehrmänner, der auch Landwirt im Ort ist. "Ich hätte gern einen Russen (Bier und Zitronenlimo 1:1 gemischt)", sage ich. "Nein, gib ihr eine Halbe", sagt der Bekannte zum irritierten Barmann.
Die nächsten 20 (?) Minuten laufe ich dann also mit dem riesigen Bierglas im Raum herum, sitze mal hier, mal da, kläre meine Teilnahme an der geplanten Einweihung des neuen Fahrzeuges ab (zur Überraschung des 2. Vorsitzenden hatte ich keine Einladung bekommen), helfe ein bißchen beim Aufräumen.
Eigentlich alles easy.

Und dann kommen nachts die Schmerzen. Beim Atmen brennt es und ich habe das Gefühl, gegen einen Widerstand zu atmen. Gegen ein Uhr liege ich wach und denke "was soll das jetzt, es ist doch eigentlich alles ok". Mir fällt wieder ein vergangener Abend bei derselben Feuerwehr ein, ich war im Dunkeln durch die Fahrzeughalle spaziert und prompt über einen Stopper gefallen, diese Hindernisse, die man in der Parkposition vor bzw. hinter die Fahrzeugreifen legt.

Am Morgen sind die Schmerzen noch da und ich gehe zum Arzt, schildere das Problem - und kassiere eine Einweisung in die Klinik. "Ich mach jetzt mal was", sagt der Arzt, "ich erschrecke mal die Kollegen ein wenig und schreibe 'Lungenembolie' auf die Überweisung, damit Ihre Lunge geröntgt wird. Aber Sie müssen jemanden finden, der Sie umgehend fahren kann. Und Sachen für 1-2 Tage mitnehmen."
Zum Glück sagt die Ersatzmama: "Wir nehmen uns die Zeit, um Dich zu fahren." Und so packe ich dann eine Tasche mit 3x Unterwäsche, Schlafanzug, Waschzeug, Hauskleidung, Handtüchern, Hausschuhen, Kuschelkissen, eine Tüte mit Clementinen und Zeitungen, die ich lesen will und verstaue in der Handtasche weitere Lektüre. Wie ein Packesel komme ich in der Klinik an.
Der Ersatzpapa begleitet mich zur Aufnahme und auf die Station, wo ich relativ schnell aufgerufen werde. Ich trage mein Hab und Gut in einen Behandlungsraum und dann geht es Schlag auf Schlag: Blutdruck messen, Blut abnehmen, EKG, noch etwas mehr Blut abnehmen am Ohrläppchen (zur Bestimmung der Blutgase, wird mir erklärt), Untersuchung durch die Assistenzärztin, deren Sprache sie als Russin oder Polin verrät. Schneller als gedacht ist es Mittag und ein weiterer Patient kommt in denselben Behandlungsraum, ein Paravent als Sichtschutz wird aufgestellt. Routiniert und sehr konzentriert arbeiten Pfleger und Ärztin uns ab. Schließlich werde ich tatsächlich noch zum Röntgen geschickt, dann wieder: Warten auf die Ergebnisse (und den letzten Laborwert). Final stellt die junge Ärztin beide Fälle ihrem Oberarzt vor, der mich als Person kaum beachtet - es gibt keine Fragen seinerseits an mich, anders als bei dem anderen Patienten.
Und dann bin ich auch schon wieder entlassen, kann mich wieder abholen lassen, und wieder läßt der Ersatzpapa fast alles stehen und liegen und fährt mich wieder heim.

Die Taschen hat er dann aber nicht mehr mit hochgetragen und so bleibt trotzdem ein schales Gefühl: ich hab Leute, die mir spontan unter die Arme greifen, aber zu mir in die Wohnung kommen wollen sie nicht, sie kennen die Misere ja auch schon.
Also ärgere ich mich schon über mich selbst und mein Unvermögen, mir eine präsentable Existenz aufzubauen und vorzuhalten.
Andererseits hatte ich gestern und heute Nacht (ja, ich war wieder wach, ein Alarm in der Wohnung unter mir war Schuld) eben auch Gelegenheit, nachzudenken. Ich glaube, seßhaft werden ist mir mit meiner Geschichte gar nicht so wichtig, ich habe lieber viel zu tun. Aber vielleicht war es in den letzten Wochen doch zuviel mit den Terminen ...

Nun habe ich heute morgen erstmal nichts gemacht, nur drei Sendungen aus der BR-Mediathek geschaut und Auticon über die Krankschreibung informiert. Ich muß also heute noch hin und die Krankmeldung abgeben. Oder sagen wir: ich will das machen. Bis jetzt habe ich es noch nicht unter die Dusche geschafft, geschweige denn aus dem Haus.

Aber die Schmerzen haben etwas nachgelassen.

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